Altersdiskriminierung ist nicht nur im Arbeits-, sondern mittlerweile auch im Beamtenrecht ein „heißes Eisen“, so dass sich der Blick über den „arbeitsrechtlichen Tellerrand“ lohnt: Das VG Frankfurt am Main (9. Kammer) hat am 20. August 2012 in mehreren Parallelverfahren (9 K 1175/11.F, 9 K 5034/11. F, 9 K 5036/11.F und 9 K 8/12) die Besoldung eines hessischen Polizeibeamten (Besoldungsgruppe A 10) und von drei hessischen Richtern (Besoldungsgruppen R 1 und R 2) als altersdiskriminierend eingestuft und hat das Land Hessen zur Zahlung von Bezügen aus der jeweiligen Endstufe verurteilt.
Der Hintergrund der Verfahren ist Folgender: Hessen ist eines der wenigen verbliebenen Bundesländer, die trotz der sog. Föderalismusreform I, die am 01.09.2006 in Kraft trat, immer noch kein eigenes Landesbesoldungsrecht geschaffen haben. Insofern gelangen bei den hessischen Richtern weiterhin die Lebenszeitstufen des § 38 BBesG aF (idF vom 31.08.2006) und bei hessischen Beamten die Besoldungsdienstaltersstufen der §§ 27 ff. BBesG aF (idF vom 31.08.2006) zur Anwendung. Die Klagen stehen im Zusammenhang mit einem Urteil des EuGH vom 9. September 2011 (Rs. C-297/10 und C 298/10, „Hennigs“), der entschieden hatte, dass die Regelung der §§ 27 ff. BAT gegen das gemeinschaftsrechtliche Verbot der Altersdiskriminierung (siehe Art. 21 GRC) verstoßen. Die Klagen stehen weiterhin in Zusammenhang mit einem Urteil des BAG vom 10. November 2011 (Az. 6 AZR 148/09), das entschieden hatte, dass ein Verstoß gegen das Verbot der Altersdiskriminierung nur durch eine Anpassung „nach oben“ beseitigt werden kann.
Die Kläger sind der Ansicht, dass die Regelungen der hier im Streit stehenden Richter- und Beamtenbesoldung mit denen der §§ 27 ff. BAT vergleichbar sind, und wollen daher gerichtlich durchsetzen, dass ihre Besoldung aus der höchsten Lebensaltersstufe ihrer jeweiligen Besoldungsgruppe erfolgt. Die Kläger haben ein Lebensalter zwischen etwa Mitte 30 und Anfang 50. Je lebensjünger ein Kläger oder eine Klägerin ist, desto größer ist die Gehaltsdifferenz, je lebensälter desto kleiner ist sie. Die Spanne reicht von etwa 2.500 Euro pro Jahr bis 23.000 Euro pro Jahr (insbesondere beim Vergleich der Lebensaltersstufen in der R 1 und R 2 Besoldungsgruppe), d.h. es geht um substanzielle Beträge.
Das beklagte Land sieht in den angegriffenen Regelungen des BBesG aF keine Diskriminierung nach dem Alter, genau betrachtet gehe es hier um Erfahrungsstufen. Selbst wenn es eine Unterscheidung nach dem Alter gebe, so sei sie gerechtfertigt. Unabhängig davon wendet sich das beklagte Land gegen eine Anpassung „nach oben“ und wendet weiterhin ein, dass die Kläger wegen ihrer Treueverpflichtung zu ihrem Dienstherren Nachzahlungsansprüche nur für das laufende Haushaltsjahr geltend machen dürften.
Das VG Frankfurt am Main hat den Klagen stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass die streitgegenständlichen besoldungsrechtlichen Regelungen des beklagten Landes Hessen mit dem Verbot der Altersdiskriminierung im europäischen Gemeinschaftsrecht (RL 2000/78/EG) unvereinbar seien und deshalb nicht zu Lasten von Richterinnen und Richtern und Beamtinnen und Beamten angewendet werden dürften. Das Gericht sieht in den streitgegenständlichen Besoldungsregelungen eine unmittelbare Diskriminierung wegen des Alters und verneint die Möglichkeit, diese Benachteiligung ausnahmsweise zu rechtfertigen. Die Höhe der Besoldung in den Richterämtern der Besoldungsstufe R 1 und R 2 sei ausschließlich am Lebensalter des jeweiligen Richters bzw. der jeweiligen Richterin orientiert und verstoße daher gegen das Verbot der Altersdiskriminierung. Es könne insoweit auch nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass das jeweilige konkrete Lebensalter mit einer bestimmten Erfahrungsstufe deckungsgleich sei. Das alleinige Abstellen auf das bloße Lebensalter stelle jedenfalls keinen Rechtfertigungsgrund im Sinne der Rechtsprechung des EuGH dar, der ausnahmsweise geeignet sei, eine Altersdiskriminierung zu rechtfertigen. Soweit die einschlägigen besoldungsrechtlichen Regelungen bei dem vorliegend klagenden Polizeibeamten betroffen seien, stellten die Besoldungsdienstaltersstufen, die Grundlage für die Festsetzung der Besoldungshöhe seien, zwar nicht unmittelbar auf das Lebensalter ab, seien jedoch im Ergebnis ebenfalls als altersdiskriminierend und damit europarechtswidrig anzusehen. Von der Möglichkeit, Besoldungsstufen im Einzelfall leistungsbezogen zu verkürzen, werde in Hessen nach den vorgelegten Auskünften nur in vernachlässigungswertem Umfang Gebrauch gemacht mit der Folge, dass der Sache nach alleine das jeweilige Lebensalter bzw. ein starrer Zeitablauf zur Grundlage für die Höhe der Besoldung gemacht werde und nicht eine an der beruflichen Erfahrung orientierte Einstufung. Dies sei als altersdiskriminierend einzustufen.
Ausweislich der Pressemitteilung Nr. 09/2012 des VG Frankfurt am Main vom 23.08.2012 hat das Gericht die Berufung für das beklagte Land nicht zugelassen, so dass es zunächst binnen eines Monats nach Zustellung der Urteile die Zulassung der Berufung vor dem Hess. VGH gemäß § 124a VwGO beantragt müsste, wenn es – wovon auszugehen sein dürfte – Rechtsmittel einlegen möchte.
Ein Kommentar
Wirklich keine Überasschungen für den geneigten Arbeitsrechtler.
Geradezu tragisch ist die Unfähigkeit der Politik, die EU-Recht, AGG und Rechtsprechung in Gesetze umzusetzen.
Das Beispiel schlechthin ist weiter § 622 BGB ….