Urlaubsansprüche dürfen bei Kurzarbeit nicht anteilig gekürzt werden, sofern keine Kurzarbeit Null zu Grunde liegt. Dies entschied das ArbG Osnabrück für mehrere gleichgelagerte Fälle (Urt. v. 08.06.2021 – 3 Ca 108/21, u. a.)
A. Der Sachverhalt
Den Entscheidungen lag folgender Sachverhalt zugrunde: Aufgrund der Auswirkungen der Corona-Pandemie ordnete der Arbeitgeber tageweise Kurzarbeit an. Ermöglicht wurde ihm dies durch jeweils erst kurz vor Beginn der Kurzarbeit abgeschlossene Betriebsvereinbarungen. Diese sahen vor, dass der Arbeitgeber die Kurzarbeit vorzeitig und kurzfristig mit einer Ankündigungsfrist von zwei Werktagen beenden oder reduzieren durfte. Eine Reduzierung der Arbeitszeit auf Null erfolgte nicht. Der Arbeitgeber kürzte die Urlaubstage anteilig im Verhältnis zu den Jahresarbeitstagen. Er verwies auf die Entscheidungen des EuGH zu Teilzeitbeschäftigten (Urt. v. 22.04.2010 – C-486/08; Urt. v. 08.11.2012, C-229/11 u. C-230/11, ArbRB 2012, 359 [Grimm]), die Entscheidung des BAG zu Sabbaticals (Urt. v. 19.03.2019 – 9 AZR 315/17) sowie auf die Entscheidung des LAG Düsseldorf (Urt. v. 12.03.2021 – 6 Sa 824/20, ArbRB 2021, 167 [Marquardt]) zur Kurzarbeit Null. Zudem führte der Arbeitgeber an, dass der Betrieb nach dem Wiederanlaufen der Kurzarbeit dadurch blockiert würde, dass Arbeitnehmer ihren vollen Jahresurlaub in Anspruch nehmen würden.
Der Arbeitnehmer wandte ein, die tageweise Kurzarbeit berechtige nicht zur Kürzung des Urlaubsanspruchs. Insbesondere sei er nicht mit einem Beschäftigten in Teilzeit oder im Sabbatical zu vergleichen. Durch die kurzzeitig angeordnete und wieder abänderbare Kurzarbeit habe er keine vorhersehbare und frei gestaltbare Freizeit gewonnen. Zudem rügte der Arbeitnehmer, dass die Betriebsvereinbarung zur Kurzarbeit aus formellen sowie inhaltlichen Gründen unwirksam sei.
B. Die Entscheidung
Das Arbeitsgericht gab dem klagenden Arbeitnehmer vollumfänglich Recht. Die anteilige Kürzung des Urlaubs sei rechtswidrig.
Zunächst stellt das Arbeitsgericht klar, dass der Urlaubsanspruch nach dem BUrlG dem Grunde nach nicht von der Erbringung einer Arbeitsleistung abhängig sei. Die Interessenlage im Falle der tageweisen Kurzarbeit sei nicht mit Fällen vergleichbar, in denen eine Urlaubskürzung anerkannt sei, wie z.B. bei Teilzeit oder sonstigen andauernden Unterbrechungen der gegenseitigen Leistungspflicht, insb. Sabbaticals. Der Arbeitgeber habe lediglich für einzelne Tage Kurzarbeit angeordnet und die Arbeitszeit nicht auf Null reduziert. Hinzu komme, dass der Arbeitgeber dazu berechtigt gewesen sei, die Kurzarbeit kurzfristig – mit einer Ankündigungsfrist von zwei Werktagen – einzuführen, zu beenden oder zu reduzieren. Die arbeitsfreien Tage führten daher nicht zu einer dem Erholungsurlaub ähnlichen Situation. Es könne nicht „davon gesprochen werden, dass bei derartiger Kurzarbeit Arbeitnehmer dadurch ihren Erholungsurlaub bereits anteilig quasi realisiert haben”. Das Arbeitsgericht sah vielmehr eine Vergleichbarkeit mit der Situation der Elternzeit (BEEG). Dort sei die Möglichkeit zur Kürzung des Urlaubs ausdrücklich gesetzlich vorgesehen. Bei der Kurzarbeit fehle eine entsprechende gesetzliche Regelung. Hieraus folge, dass eine entsprechende Kürzung unzulässig sei. Zudem regle § 11 Abs. 1 S. 3 BUrlG, dass die Kurzarbeit nicht zur Kürzung des Urlaubsentgelts führe, sich also nicht zulasten von Arbeitnehmern auswirke.
Dass bestehende Urlaubsansprüche nach dem Ende der Kurzarbeit genommen werden können, liege in der Natur der Sache. Die vom Arbeitgeber dadurch vermutete Blockade des Betriebs sei reine Spekulation und ohne Beleg.
Ob die Betriebsvereinbarung zur Kurzarbeit – wie gerügt – unwirksam war, ließ das Gericht offen, da es hierauf nicht mehr ankam.
Die Berufung wurde wegen der Bedeutung der Rechtssache zugelassen.
C. Einordnung und Anmerkung
Das erste obergerichtliche Urteil zu der Frage, ob eine Urlaubskürzung wegen Kurzarbeit zulässig ist, lieferte das LAG Düsseldorf. Das LAG sah die anteilige Urlaubskürzung im Falle der Kurzarbeit Null als rechtmäßig an (siehe hierzu: https://www.arbrb.de/67028.htm). Die nunmehr neuen Entscheidungen des ArbG Osnabrück betreffen hingegen nicht den Fall der Kurzarbeit Null und stehen daher nicht im direkten Widerspruch zu der Entscheidung des LAG Düsseldorf.
I. Argumente des ArbG Osnabrück überzeugen nicht
Die aus der Pressemitteilung des ArbG Osnabrück ersichtliche Begründung überzeugt nicht. Das ArbG Osnabrück sieht es unter anderem als maßgeblich an, inwiefern sich durch die tageweise Gewährung von Kurzarbeit der Erholungsurlaub „bereits anteilig quasi realisiert“ hat. Dies sei dann der Fall, wenn die arbeitsfreien Tage zu einer dem Erholungsurlaub ähnlichen Situation führen. Im Hinblick auf das Recht des Arbeitgebers, die Kurzarbeit kurzfristig anzuordnen, zu reduzieren oder vorzeitig zu beenden, verneinte das Arbeitsgericht eine urlaubsähnliche Situation. Zudem stellt es darauf ab, ob die Aussetzung der gegenseitigen Leistungspflicht „andauernd“ wie bei der Teilzeit oder einem Sabbatical ist. Damit wählt es nach meinem Dafürhalten einen falschen Anknüpfungspunkt für seine Überlegungen.
Sofern das Arbeitsverhältnis ruht oder die Arbeitszeit aufgrund von Teilzeit reduziert wird, stellen EuGH und BAG übereinstimmend dem Grunde nach nicht darauf ab, ob die dadurch gewonnen freien Tage zu einer dem Erholungsurlaub ähnlichen Situation führen. Ebenso kommt es nicht darauf an, ob die gegenseitige Aussetzung der Leistungspflicht dauerhaft bzw. „andauernd“ ist. Vielmehr gilt Folgendes:
„Dieser Zweck, durch den sich der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub von anderen Arten des Urlaubs mit anderen Zwecken unterscheidet, beruht auf der Prämisse, dass der Arbeitnehmer im Laufe des Referenzzeitraums tatsächlich gearbeitet hat. Das Ziel, es dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, sich zu erholen, setzt nämlich voraus, dass dieser Arbeitnehmer eine Tätigkeit ausgeübt hat, die es zu dem in der RL 2003/88 vorgesehenen Schutz seiner Sicherheit und seiner Gesundheit rechtfertigt, dass er über einen Zeitraum der Erholung, der Entspannung und der Freizeit verfügt. Daher sind die Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub grundsätzlich anhand der Zeiträume der auf der Grundlage des Arbeitsvertrags tatsächlich geleisteten Arbeit zu berechnen“ (EuGH, Urt. v. 13.12.2018 – C-385/17 – [Hein], Rn. 26, ArbRB 2019, 3 [Marquardt]; EuGH, Urt. v. 04.10.2018 – C-12/17 -[Dicu], Rn. 28, vgl. auch EuGH Urt. v. 08.11.2012 – C-229/11 u. C-230/11 – [Heimann und Toltschin], Rn. 32 ff., ArbRB 2012, 359 [Grimm]), dem folgend: BAG, Urt. v. 19.03.2019 – 9 AZR 315/17, (Sabbatical), ; BAG Urt. v. 24.09.2019 – 9 AZR 481/18, ArbRB 2020, 67 [Marquardt] (Altersteilzeit im Blockmodell).
Von diesen Maßstäben weicht das ArbG Osnabrück ab. Legt man zur Beantwortung der Frage, ob der Urlaub wegen tageweiser Kurzarbeit gekürzt werden darf, alleine diese Maßstäbe zu Grunde, ergibt sich folgendes Ergebnis: Durch die tageweise Anordnung von Kurzarbeit reduzieren sich Tage mit Arbeitspflicht. Reduzieren sich die Tage mit Arbeitspflicht, benötigen Arbeitnehmer anteilig weniger Zeit, um sich von der tatsächlich geleisteten Arbeit zu erholen und eine Kürzung des Urlaubs wäre zulässig.
II. Argumente gegen eine Urlaubskürzung
Zwar werden durch die Anordnung von Kurzarbeit im Rahmen der Corona-Pandemie die Arbeitstage anteilig, ähnlich wie im Falle der Teilzeit oder der Freistellung im Rahmen eines Sabbaticals, reduziert. Unabhängig von der Begründung des ArbG Osnabrück stellt sich jedoch die Frage, ob weitere wertende Faktoren gegen die Zulässigkeit der Urlaubskürzung sprechen.
So handelt es sich bei Kurzarbeit und Kurzarbeitergeld grundsätzlich um ein staatliches Instrument zur Milderung des Betriebsrisikos der Arbeitgeber (BAG v. 11.07.1990 – 5 AZR 557/89). Bestünde die Möglichkeit der Kurzarbeit nicht, würden sich Arbeitgeber teilweise in Annahmeverzug befinden (§ 615 BGB). Diese Überlegungen könnten dafür sprechen, die Pandemie-bedingte Kurzarbeit nicht mit der Situation der Teilzeit, des Sabbaticals oder der Freistellung während der Altersteilzeit, sondern eher mit der des Annahmeverzuges zu vergleichen. Hierfür spricht weiter Folgendes: Zahlt die Bundesagentur für Arbeit nicht, haben Arbeitgeber den Lohn in Höhe des Kurzarbeitergeldes selbst zu zahlen (BAG Urt. v. 22.04.2009 – 5 AZR 310/08, ArbRB 2009, 223 [Bonanni/Ludwig]; BAG, Urt. v. 25.01.2012 – 5 AZR 671/10).
Aus sozialpolitischer Sicht spricht gegen eine Urlaubskürzung, dass die im Rahmen der Corona-Pandemie getroffene politische Entscheidung, den Erholungsurlaub vor Beantragung der Kurzarbeit (i. S. d. § 96 Abs. 4 S. 2 Nr. 2 SGB III) nicht vollständig einzubringen zu müssen, ausgehebelt würde. Den so eigentlich gewonnenen Urlaub der Arbeitnehmer könnten Arbeitgeber sofort wieder kürzen. Zudem würde die Urlaubskürzung zu einer Ungleichbehandlung zwischen Arbeitnehmern, die ihren Urlaub vor Antritt der Kurzarbeit bereits vollständig genommen haben, und Arbeitnehmern, die sich ihren Urlaub aufsparen wollten, führen.
Schließlich sprechen auch finanzpolitische Argumente gegen eine Urlaubskürzung. Zu Zeiten der Urlaubsgewährung wären Arbeitgeber in der Pflicht, das Urlaubsentgelt fortzuzahlen. Kann der Urlaub hingegen gekürzt werden, werden diese Zeiträume durch das Kurzarbeitergeld der Bundesagentur für Arbeit aufgefangen. Dies würde zu einer erheblichen finanziellen Mehrbelastung für die Bundesagentur für Arbeit führen.
Sofern die Kurzarbeit durch individualvertragliche Vereinbarung geregelt wurde, ist zugleich folgende Überlegung interessant: Arbeitnehmer verzichteten durch die Zustimmung zur Kurzarbeit in der Regel auf einen Teil ihres Lohns, unter anderem zum Wohle des Betriebes. Wäre den Arbeitnehmern bewusst gewesen, dass sie ebenfalls anteilig auf Ihren Urlaub verzichten, ist davon auszugehen, dass einge die Vereinbarung zur Kurzarbeit womöglich nicht oder nicht so geschlossen hätten. Es könnte daher nach § 313 BGB ggf. ein Anspruch auf Anpassung der Vereinbarung zur Kurzarbeit dahingehend bestehen, dass eine Kürzung des Urlaubs unzulässig ist. Voraussetzung wäre, dass beide Vertragsparteien – also neben den Arbeitnehmern auch die Arbeitgeber – bei Abschluss der Vereinbarung stillschweigend davon ausgingen, dass eine Kürzung des Urlaubs nicht erfolgen werde und sich die Rechtsprechung nunmehr gegenteilig positioniert.
III. Exkurs: Keine Kürzung des Urlaubs bei nur stundenweiser Kurzarbeit
Erfolgt weder Kurzarbeit Null noch Kurzarbeit an kompletten Arbeitstagen, sondern lediglich die teilweise Reduzierung der täglichen Arbeitszeit, ist meines Erachtens eine Kürzung des Urlaubs unzulässig. Sowohl der EuGH als auch das BAG legen im Hinblick auf das Erfordernis der Erholung von erbrachter Arbeitsleistung eine tageweise Betrachtung zugrunde. Nach diesen Maßstäben ist es lediglich von Bedeutung, ob an einem Tag Arbeitsleistung erbracht wurde und nicht wie viel. Bei einer Reduzierung der täglichen Arbeitszeit infolge von Kurzarbeit erfolgt keine Reduzierung der tatsächlich geleisteten Arbeitstage. Erfolgt keine Reduzierung der tatsächlich geleisteten Arbeitstage im Vergleich zu den individuell geschuldeten Arbeitstagen, ist nach meinem Dafürhalten eine Kürzung des Urlaubs unzulässig.
IV. Formel zur Urlaubskürzung
Sofern eine anteilige Kürzung des Urlaubs als zulässig angesehen wird, stellt das BAG in seiner Entscheidung zu Sabbaticals (Urt. v. 19.03.2019 – 9 AZR 315/17) unter Zugrundelegung einer 5-Tage-Woche folgende Berechnungsformel zur Verfügung:
Anzahl der Tage Urlaub x Anzahl der Tage mit Arbeitspflicht
__________________________________________________
260 Werktage
Auf Basis dieser Formel ist sodann auch die anteilige Kürzung des Urlaubs bei Kurzarbeit zu berechnen.
V. Ausblick
Im Hinblick darauf, dass sowohl unter Beachtung der Rechtsprechung des EuGH als auch des BAG eine Urlaubskürzung zulässig sein dürfte, ist nun einmal mehr der Gesetzgeber gefragt. Diesem obliegt es, die gegenläufigen Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der sozialpolitischen und finanzpolitischen Aspekte abzuwägen und für eine allseits klare Regelung zu sorgen. Bis dahin bleibt es spannend, denn es ist davon auszugehen, dass bereits vor einer Gesetzesänderung eine Entscheidung des BAG zu den hier besprochenen Fragen ergehen wird.
Weiteres zum Thema Kurzarbeit und Urlaub:
Zur Frage, der Kürzung des Urlaubs bei Kurzarbeit Null, finden Sie auf www.arbrb.de einen Blog von Grimm.
Die Entscheidung des LAG Düsseldorf zur Frage, der Kürzung des Urlaubs bei Kurzarbeit Null, finden Sie unter https://www.arbrb.de/67028.htm
Zudem finden Sie im ArbRB-Archiv einen Aufsatz von Gaul und Lauer zur Urlaubskürzung bei Kurzarbeit (ArbRB, 2020, 343).