Dashcams erheben in der Regel permanent und ohne Anlass personenbezogene Daten, wie Kennzeichen anderer Verkehrsteilnehmer sowie Personen, die sich in der Nähe des Fahrzeugs, in dem die Dashcam installiert ist, aufhalten. Diese sind von der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Dashcam betroffen, ohne dass sie von der Überwachung Kenntnis erlangen oder sich dieser entziehen können. Das Interesse des Autofahrers oder -halters als datenschutzrechtlich Verantwortlichen, für den Fall eines Verkehrsunfalls Videoaufnahmen als Beweismittel zur Hand zu haben, rechtfertigt diesen Eingriff in das Recht auf Schutz der personenbezogenen Daten der anderen Verkehrsteilnehmer nicht (so das Positionspapier zur Unzulässigkeit von Videoüberwachung aus Fahrzeugen der Konferenz der Datenschutzbeauftragten (DSK) vom 28.01.2019 sowie die Orientierungshilfe Videoüberwachung durch nicht-öffentliche Stellen der DSK vom 17.07.2020).
Die datenschutzrechtliche Unzulässigkeit ergab sich bereits unter der Geltung der Richtlinie 95/46/EG daraus, dass (herkömmliche) Dashcams nicht anlassbezogen, sondern permanent personenbezogene Daten aufzeichnen (zu möglichen technischen Alternativen, insbesondere zum Projekt „Privacy Blackbox“ Schröder, ZD 2021, 302). Der Zweckbindungsgrundsatz des Art. 5 Abs. 1 lit. b) der am 25.05.2018 in Kraft getretenen Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) erfordert eine Festlegung der Zwecke, zu denen die Erhebung und die beabsichtigte Verarbeitung erfolgen sollen, schon zum Zeitpunkt der Datenerhebung und wird ergänzt durch den Grundsatz der Datenminimierung des Art. 5 Abs. 1 lit. c) DSGVO (Kühling/Buchner/Herbst, DS-GVO, 3. Aufl. 2020, Art. 5 Rn. 31, 56).
Trotz der datenschutzrechtlichen Unzulässigkeit (herkömmlicher) Dashcams können ihre Aufnahmen im Zivilprozess verwertbar sein, um ein Unfallgeschehen zu überprüfen (BGH vom 15.05.2018 – VI ZR 233/17, NJW 2018, 2883). Wie ist es zu beurteilen, wenn ein Fahrzeug mit einer Dashcam, die permanent das vordere und hintere Blickfeld aufzeichnet, worauf ein großes Schild auf dem Armaturenbrett deutlich hinweist, zur Inspektion in eine Werkstatt gebracht wird? Gesetzt den Fall, dass dies auch der Abschreckung von Dieben, also einem legitimen Zweck dienen soll, wäre die Aufzeichnung gleichwohl unzulässig. Bestünde auch dann die Möglichkeit ihrer Verwertung in einem Zivil- oder einem Strafprozess (zu letzterem in einem Mordprozess BGH vom 18.08.2020 – 5 StR 175/20, juris). Davon ist wohl auszugehen, jedenfalls liegt eine Begründung, dass eine insgesamt unzulässige Datenerhebung zwar in einem Verkehrsunfallprozess, jedoch nicht in einem Prozess, in dem es um die Beschädigung eines parkenden Fahrzeugs oder um den Diebstahl von Gegenständen aus einem solchen Fahrzeug geht, nicht auf der Hand.
Ärgerlich für den Mechaniker, der ein Auto mit einer derartigen Dashcam in der Werkstatt zu warten oder zu reparieren hat. Der Arbeitgeber wäre kaum berechtigt, die Werkstatt oder einzelne Bereiche davon permanent durch Kameras zu überwachen (zum nicht mit Personal besetzten Tresenbereich einer Arztpraxis ablehnend BVerwG vom 27.03.2019 – 6 C 2/18, NJW 2019, 2556). Wie ist es zu beurteilen, wenn der verärgerte Mechaniker seinem Ärger dadurch Luft macht, dass er den gestreckten Mittelfinger in die laufende Dashcam zeigt, was den Kunden, nachdem er sein „heilix Bleche“ aus der Werkstatt wieder in Empfang genommen und anhand der Aufzeichnungen festgestellt hat, wie es ihm dort ergangen, sehr erbost und wenn sich der Kunde hierüber gegenüber dem Werkstattleiter beschwert? Welche Bedeutung hat es, wenn weitere Ausstattungsmerkmale des Fahrzeugs oder ein lesbar angebrachter Name auf einen „Migrationshintergrund“ deuten und der Kunde gegenüber dem Werkstattleiter geltend macht, er sei wegen seiner Herkunft und „Rasse“ diskriminiert worden? Früher oder später, unter Umständen nachdem der Werkstattleiter sich zunächst schützend vor seine Mitarbeiter gestellt hat, die „so etwas“ nicht machen, wird der Kunde das Beweismittel vorspielen, die Aufnahme also zeigen. Wenn er besonnen ist, nur dem Werkstattleiter, damit dieser angemessen reagieren kann, und die Aufnahme nicht gleich unter Nennung der Werkstatt ins Internet stellen.
Der gestreckte Zeigefinger (zur Kulturgeschichte siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Stinkefinger) stellt eine strafbare Beleidigung dar, die auch über das Medium einer Videokamera begangen werden kann (BayObLG vom 23.02.2000 – 5 St RR 30/00). Zur Strafbarkeit gehört der Vorsatz. Er muss das Bewusstsein umfassen, dass die beleidigende Äußerung bzw. Handlung auch von anderen wahrgenommen wird. Davon, zumindest von bedingtem Vorsatz ist bei einem auf dem Armaturenbrett angebrachten, deutlich lesbaren Warnschild auszugehen (zu einem Sonderfall siehe AG Melsungen vom 04.07.2007 – 44 Cs -9012 Js 44909/06,, NZV 2007, 585).
Darf nun der Arbeitgeber gegenüber dem Arbeitnehmer geeignete Maßnahmen ergreifen, z.B. eine Abmahnung aussprechen? Ich meine ja. Die Verpflichtung des Verantwortlichen (hier: des Halters oder Eigentümers der Dashcam), vor Beginn der Verarbeitung den Zweck der Verarbeitung zu definieren und die betroffenen Personen darüber hinreichend zu informieren, soll ein Ausufern der Verarbeitungszwecke durch den Verantwortlichen verhindern. Jedoch steht der Grundsatz der Zweckbindung nicht jederweder Sekundärverarbeitung entgegen. Vielmehr wird die Zweckbindung dann verletzt, wenn entweder der Sekundärzweck nicht mit dem (zulässigen) Primärzweck vereinbar ist oder wenn die Sekundärverarbeitung durch eine datenschutzrechtliche Rechtsgrundlage legitimiert ist (Heckmann/Scheurer in: Heckmann/Paschke, jurisPK-Internetrecht, 7. Aufl., Kap. 9 [Stand: 06.07.2021], Rn. 221). Letzteres ist hier der Fall, denn das Ansehen der Aufzeichnung war erforderlich, um feststellen zu können, ob die Beschwerde des Kunden berechtigt war und wäre somit durch Art. 6 Abs. 1 lit d) DSGVO gedeckt, sofern darin überhaupt eine „Verarbeitung“ durch den Arbeitgeber läge (zu Zufallsfunden und zum Anwachsen siehe Reimer in: Sydow, Europäisches Datenschutzrecht, 2. Aufl. 2018, Art. 5 Rn. 24, Art. 4 Rn. 55; Schild in: Wolf/Brink, BeckOK Datenschutzrecht, Art. 4 DS-GVO Rn. 36). Wenn der Beweisbelastete die personenbezogenen Daten mit einer zwar datenschutzrechtlich unzulässigen Dashcam beschafft und erhoben hat, den Beweis jedoch damit führen kann, dann kann es dem möglicherweise auf Entschädigung in Anspruch genommenen, jedenfalls mit einer Beschwerde konfrontierten Werkstattleiter nicht verwehrt sein, sich den Beweis anzusehen. Die Prüfung des zulässigen Beweises führt uno actu zu einem Anwachsen von Erkenntnissen. Die Verwertung dieser Erkenntnis ist durch den Zweck der Durchführung des Arbeitsverhältnisses nach § 26 Abs. 1 BDSG i.V.m. Art. 88 DSGVO gerechtfertigt.
Gesetzt den Fall, dass die Verwendung der Aufnahme durch den Kunden gegenüber der Werkstatt entgegen der oben vertretenen Ansicht einem Beweisverwertungsverbot unterläge, weil es nicht um ein Unfallgeschehen geht, wäre fraglich, ob der Arbeitgeber nicht dennoch seine durch das möglicherweise nur einmalige Ansehen der Aufzeichnung gewonnene Erkenntnis („der gestreckte Mittelfinger des Mechanikers während der Arbeitszeit“) verwerten und für eine Abmahnung nutzen dürfte. Sofern ein Beweisverwertungsverbot wegen eines Verstoßes gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht besteht, erfasst dieses nicht nur das unrechtmäßig erlangte Beweismittel selbst, sondern steht auch einer mittelbaren Verwertung, wie der Vernehmung von Zeugen über den Inhalt des Beweismittels entgegen (BAG vom 28.03.2019 – 8 AZR 421/17, ArbRB online). Meines Erachtens kann dies nicht ohne weiteres auf den Fall eines Zufallsfundes bzw. eines ungewollten Anwachsens der Information übertragen werden.
RA FAArbR Axel Groeger, Bonn www.redeker.de |