Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 13.10.2021 – 5 AZR 211/21 – entschieden, dass ein Arbeitgeber, der aufgrund einer Allgemeinverfügung zur Eindämmung des Coronavirus seinen Betrieb schließen muss, nicht in Annahmeverzug gerät. Die pandemiebedingte behördliche Anordnung sei kein Fall des vom Arbeitgeber gemäß § 615 Satz 3 BGB zu tragenden Betriebsrisikos; der Arbeitgeber trage nicht das Risiko des Arbeitsausfalls, wenn zum Schutz der Bevölkerung vor schweren und tödlichen Krankheitsverläufen infolge von SARS-CoV-2-Infektionen durch behördliche Anordnung die sozialen Kontakte auf ein Minimum reduziert und nahezu flächendeckend alle nicht für die Versorgung der Bevölkerung notwendigen Einrichtungen geschlossen werden. In einem solchen Fall realisiere sich nicht ein in einem bestimmten Betrieb angelegtes Betriebsrisiko. Die Unmöglichkeit der Arbeitsleistung sei vielmehr Folge eines hoheitlichen Eingriffs zur Bekämpfung einer die Gesellschaft insgesamt treffenden Gefahrenlage; es sei Sache des Staates, gegebenenfalls für einen adäquaten Ausgleich der den Beschäftigten durch den hoheitlichen Eingriff entstehenden finanziellen Nachteile zu sorgen, etwa durch einen erleichterten Zugang zum Kurzarbeitergeld.
Inhaltlich kann der Entscheidung ohne weiteres zugestimmt werden. Maßnahmen zur Bekämpfung einer Pandemie können nur dann dem Betriebsrisiko des Arbeitgebers zugerechnet werden, wenn die betriebliche Organisation ein besonderes Gefährdungspotential begründet; vor diesem Hintergrund dürfte ggf. eine differenzierte Betrachtung geboten sein in denjenigen Fällen, in denen eine Betriebsschließung aufgrund der Gefahrenlage in einem bestimmten Betrieb angeordnet worden ist. In allen anderen Fällen der allgemeinen Gefahrenabwehr verlieren die Arbeitnehmer durch die Betriebsschließung ihren Anspruch auf Vergütung und werden auf Sozialleistungen verwiesen.
Die Entscheidung des BAG wirft allerdings Fragen auf, die sich aus dem Wechselspiel zwischen Arbeits- und Sozialrecht ergeben. Das BAG weist die Verantwortung für die soziale Absicherung im Pandemiefall zutreffend der Gesellschaft zu; dass dies durch die Gewährung von Kurzarbeitergeld sachgerecht erfolgen kann, haben die vergangenen Monate bewiesen. Allerdings erfordert die Rechtsprechung des BAG nun eine Nuancierung der Rechtsprechung des BSG. Nach bisheriger Auffassung des BSG (BSG vom 17.12.2013 – B 11 AL 11/12 R; BSG vom 21.07.2009 – B 7 AL 3/08 R) enthalten nämlich die persönlichen Voraussetzungen für den Bezug von Kurzarbeitergeld gemäß § 98 Abs. 1 SGB III als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal „den durch die Kurzarbeit bedingten individuellen Arbeitsausfall mit Entgeltausfall“. Streng genommen liegt eine solche Kausalität allerdings nicht vor, wenn der Entgeltausfall nicht durch die Einführung der Kurzarbeit eintritt, sondern bereits durch die Betriebsschließung aufgrund der Allgemeinverfügung. Ein Entgeltanspruch, der durch die Kurzarbeit entfallen könnte, liegt damit nicht mehr vor.
Allerdings darf nicht übersehen werden, dass die Rechtsprechung des BSG diejenigen Fälle im Blick hatte, in denen der Entgeltausfall aus (zusätzlichen) anderen Gründen eingetreten und von anderen Leistungsträgern aufzufangen war, etwa bei der Inanspruchnahme von Leistungen während einer Rehabilitationsmaßnahme. In der vorliegenden Konstellation sind allerdings die Ursachen für den Entgeltausfall und für die Einführung der Kurzarbeit identisch; es wäre widersinnig und entspräche nicht dem sozialpolitischen Schutzzweck des SGB III, wollte man Kurzarbeitergeld (nur) dann gewähren, wenn zusätzlich zu dem den Entgeltausfall unmittelbar begründenden Ereignis der Betriebsschließung auch noch Kurzarbeit eingeführt wird. In den Fällen, in denen die Ursache für den Entgeltausfall und der Grund für die Einführung der Kurzarbeit identisch sind, ist deshalb § 98 Abs. 1 SGB III dahingehend auszulegen, dass zur Erfüllung der persönlichen Voraussetzungen für den Bezug von Kurzarbeitergeld erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass der Entgeltausfall kausal auf dem Arbeitsausfall beruht; die wirksame Einführung von Kurzarbeit ist in diesen Fällen nicht mehr Voraussetzung des Anspruchs auf Kurzarbeitergeld. Damit ist gewährleistet, dass auch bei einer zutreffenden Verteilung der betrieblichen und gesellschaftlichen Risiken einer Pandemie der Sozialschutz der Arbeitnehmer erhalten bleibt.