Das BMAS hat bekanntlich einen Referentenentwurf vorgelegt, der durch Änderungen im Arbeitszeitgesetz die Arbeitszeiterfassung umfangreich gesetzlich regeln soll (s. Kleinebrink, ArbRB-Blog-Beitrag v. 19.4.2023). Mittlerweile bestehen aber ernsthafte Zweifel, ob dieses Gesetzgebungsvorhaben weiter durchgeführt wird. Die Bundesregierung soll dazu neigen, in dieser Legislaturperiode das Thema der Neuregelung der Arbeitszeiterfassung nicht mehr ernsthaft zu verfolgen.
Die politische Ausgangslage
Die Arbeitszeiterfassung ist weder Gegenstand der Kabinettsthemenlisten noch der Vorhabensübersicht des BMAS. Bundesfinanzminister Christian Lindner hat außerdem in einem Brief an die Bundesregierung darauf bestanden, dass die im Koalitionsvertrag getroffenen Vereinbarungen eingehalten werden.
Der Inhalt des Koalitionsvertrags
Dieser sieht eine Kopplung der Neuregelung der Arbeitszeiterfassung mit dem Schutz der Vertrauensarbeitszeit und der Ausweitung der Arbeitszeitflexibilität vor. Wörtlich heißt es auf Seite 54 des Koalitionsvertrags:
„Um auf die Veränderungen in der Arbeitswelt zu reagieren und die Wünsche von Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmern und Unternehmen nach einer flexibleren Arbeitszeitgestaltung aufzugreifen, wollen wir Gewerkschaften und Arbeitgeber dabei unterstützen, flexible Arbeitszeitmodelle zu ermöglichen.
Wir halten am Grundsatz des 8-Stunden-Tages im Arbeitszeitgesetz fest. Im Rahmen einer im Jahre 2022 zu treffenden, befristeten Regelung mit Evaluationsklausel werden wir es ermöglichen, dass im Rahmen von Tarifverträgen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unter bestimmten Voraussetzungen und in einzuhaltenden Fristen ihre Arbeitszeit flexibler gestalten können. Außerdem wollen wir eine begrenzte Möglichkeit zur Abweichung von den derzeit bestehenden Regelungen des Arbeitszeitgesetzes hinsichtlich der Tageshöchstarbeitszeit schaffen, wenn Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen, aufgrund von Tarifverträgen, dies vorsehen (Experimentierräume). Im Dialog mit den Sozialpartnern prüfen wir, welchen Anpassungsbedarf wir angesichts der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum Arbeitszeitrecht sehen. Dabei müssen flexible Arbeitszeitmodelle (zB Vertrauensarbeitszeit) weiterhin möglich sein.“
Der Widerstand der DGB-Gewerkschaften
Diese im Koalitionsvertrag enthaltene Paketlösung, auf die sich die FDP nun stützt, stößt auf erheblichen Widerstand bei den Gewerkschaften. Deren Ziel ist keine Regelung der Arbeitszeiterfassung im Arbeitszeitgesetz, sondern nur im Arbeitsschutzgesetz. Vor allen Dingen geht es ihnen aber darum, keine Abweichung von der Tageshöchstarbeitszeit zu tolerieren.
Berufung auf das Initiativrecht des Betriebsrats als Folge
Möglicherweise werden Gewerkschaften über Betriebsräte nun versuchen, sich die Entscheidung des LAG München vom 22.5.2023 – 4 TaBV 24/23 – zunutze zu machen. Das Gericht hat eine Einigungsstelle nicht nach § 100 Abs. 1 Satz 2 ArbGG für offensichtlich unzuständig angesehen, die nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG i.V.m. § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG über eine Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeiterfassung entscheiden soll.
Zwar erkennt das Gericht an, dass nach der Entscheidung des BAG vom 13.9.2022 – 1 ABR 22/21, ArbRB 2022, 299 (Braun) – kein Mitbestimmungsrecht besteht, wenn es darum geht, ob überhaupt eine solche Betriebsvereinbarung abgeschlossen werden soll. In dem entschiedenen Fall soll es allerdings um das mitbestimmungspflichtige „Wie“ und damit um die Ausgestaltung der Betriebsvereinbarung gegangen sein. Die Besonderheit des Falls bestand darin, dass es in dem Unternehmen bereits eine Konzernbetriebsvereinbarung zur Arbeitszeiterfassung gibt. Diese regelt allerdings die Arbeitszeiterfassung nur für den Innendienst und nicht für den Außendienst. Vor diesem Hintergrund geht das Gericht nicht von einer offensichtlichen Unzuständigkeit der Einigungsstelle aus.
Im Kern geht es damit um die Frage, ob es nur noch um das „Wie“ der Arbeitszeiterfassung geht, wenn es im Betrieb oder Konzern überhaupt eine Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeiterfassung gibt, die aber bestimmte Personengruppen ausklammert, so dass ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats besteht. Dies scheint das LAG München anzunehmen. Denkbar wäre aber auch, zu argumentieren, dass es hinsichtlich des nicht erfassten Personenkreises um das „Ob“ der Arbeitszeiterfassung geht, so dass insoweit ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nicht gegeben ist. Diese Rechtsfrage ist endgültig durch das LAG München noch nicht geklärt, da dieses nur über die offensichtliche Unzuständigkeit der Einigungsstelle entscheiden musste.