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Kein Annahmeverzugslohn bei Vereitelung der Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit

avatar  Kathrin Schulze Zumkley

Wird nach Ausspruch einer Kündigung im anschließenden Kündigungsschutzprozess rechtskräftig festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht beendet worden ist, stehen dem Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber grundsätzlich Verzugslohnansprüche aus § 615 Satz 1 BGB zu. Dies gilt nach § 11 Nr. 2 KSchG jedoch nicht, wenn der Arbeitnehmer es in dem betreffenden Zeitraum böswillig unterlassen hat, eine ihm zumutbare Arbeit anzunehmen; den nicht erzielten, potentiellen Verdienst muss sich der Arbeitnehmer anrechnen lassen.

Ob ein böswilliges Unterlassen anderweitigen Erwerbs vorliegt, ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts unter Bewertung aller Umstände des konkreten Einzelfalls im Rahmen einer Gesamtabwägung der beiderseitigen Interessen zu beurteilen (z.B. BAG, Urt. v. 23.2.2021 – 5 AZR 213/20, ArbRB 2021, 267 [Hülbach]). Zu berücksichtigen ist dabei, so das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 12.10.2022 – 5 AZR 30/22 – beispielsweise auch, ob der Arbeitnehmer sozialrechtliche Handlungspflichten verletzt hat und damit auch die Frage, ob der Gekündigte sich entsprechend § 38 Abs. 1 SGB III arbeitssuchend gemeldet hat oder nicht.

Zum Ende des Jahres 2022 urteilte das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg (Urt. v. 29.12.2022 – 3 Sa 100/21) zur Frage des böswilligen Unterlassens anderweitigen Verdienstes, dass ein Arbeitnehmer, der sich nach Erhalt einer Kündigung arbeitssuchend meldet und mit der Agentur für Arbeit übereinkommt, ihm bis zum Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens keine Vermittlungsangebote zu unterbreiten, nicht böswillig im Sinne des § 11 Nr. 2 KSchG handle. Ausreichend sei, dass der Arbeitnehmer „alles eingehalten hat, was die für ihn zuständige Sachbearbeiterin der Agentur für Arbeit von ihm in sozialrechtlicher Hinsicht verlangt hat.“

Diese Entscheidung hat das Bundesarbeitsgericht nun – vollkommen zu Recht – mit Urteil vom 7.2.2024 – 5 AZR 177/23 – aufgehoben:

Der Arbeitnehmer hatte der Agentur für Arbeit mitgeteilt, er könne sich anderweitig bewerben, wenn man ihn dazu zwinge. Er werde jedoch einem potentiellen Arbeitgeber bei Bewerbungen – noch vor einem Vorstellungsgespräch – mitteilen, dass ein Gerichtsverfahren mit dem letzten Arbeitgeber laufe und er unbedingt dort weiterarbeiten wolle. Daraufhin hat die Agentur für Arbeit mit dem Arbeitnehmer vereinbart, ihm keine Vermittlungsangebote zu unterbreiten.

Mit diesem Verhalten hat der Kläger, so das Bundesarbeitsgericht, eine Vorgehensweise angekündigt, mit der er von vornherein verhindern wollte und konnte, dass seine Bewerbung in die engere Auswahl kommen könnte. Ein solcher ungefragter Hinweis auf ein laufendes Gerichtsverfahren mit dem bisherigen Arbeitgeber schon vor einem Vorstellungsgespräch entspreche nicht dem Verhalten einer tatsächlich um eine Beschäftigung bemühten Person und sei zu Lasten des Klägers in der Interessenabwägung zu berücksichtigen. Zwar sei es richtig, dass ein Arbeitnehmer in der Situation des gekündigten Klägers, auf die Frage eines potentiellen neuen Arbeitgebers im Bewerbungsprozess Angaben dazu machen dürfe bzw. müsse, wie sich die Situation bezüglich des gekündigten „vorherigen“ Arbeitsverhältnisses darstellt. Gezielt zu verhindern, dass eine Bewerbung überhaupt in die engere Auswahl kommt, ist aber zu viel des Guten!

Die Entscheidung enthält neben dem vorstehend angesprochen Aspekt noch einige weitere interessante Ausführungen und Feststellungen. So äußert sich das Bundesarbeitsgericht u.a. zur Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 30.9.2022 – 6 Sa 280/22 – und widerspricht dessen Rechtsauffassung, der Arbeitnehmer sei in einer solchen Situation verpflichtet, im Umfang einer Vollzeitstelle Bewerbungsbemühungen zu entfalten. Auch Ausführungen zur Relevanz der in § 140 SGB III normierten Anforderungen an eine zumutbare Beschäftigung für die Beurteilung des böswilligen Unterlassens und zur Frage, wann eine Vergütung derart gering ist, dass die betreffende anderweitige Verdienstmöglichkeit unzumutbar ist, sind enthalten. Eine mehr als nur lesenswerte Entscheidung, die zudem eine Übersicht über die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast mitliefert und klarstellt, dass in Fällen wie den vorliegenden, in denen der Arbeitnehmer verhindert, dass ihm Beschäftigungsmöglichkeiten tatsächlich angeboten werden, der Arbeitnehmer unter dem Gesichtspunkt der Bedingungsvereitelung die Darlegungs- und Beweislast dafür trägt, dass eine Bewerbung auf eine vom Arbeitgeber nachzuweisende Stelle erfolglos gewesen wäre.

================= Hinweis der Redaktion ==================

Mehr zum Thema: Schulze Zumkley, Neue Entwicklungen beim Annahmeverzugslohn – Drei aktuelle Entscheidungen aus Erfurt und Köln, ArbRB 2024, 83 ff., auch abrufbar im Gratis-Test unserer Datenbank oder kostenlosen ArbRB-Probeabonnement.

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