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Keine Überstundenzuschläge – Unzulässige schlechtere Behandlung von Teilzeitbeschäftigten und mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts

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Der EuGH hat am 29.7.2024, C-184/22 und C-185/22, in einem vom BAG vorgelegten Fall entschieden, dass ein Tarifvertrag, der die Zahlung von Überstundenzuschlägen an Teilzeitbeschäftigte nur für die Arbeitsstunden vorsieht, die über die regelmäßige Arbeitszeit eines vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten hinaus gearbeitet werden, sowohl eine „schlechtere“ Behandlung von Teilzeitbeschäftigten i.S.v. § 4 Nrn. 1 und 2 des Anhangs zu der Richtlinie 97/81/EG darstellt als auch eine mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts i.S.v. Art. 157 AEUV sowie Art. 2 Abs. 1 Buchst. b und Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2006/54/EG zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen.

Sachverhalt
Gegenstand des Verfahrens war ein mit ver.di geschlossener Firmentarifvertrag, der für einen bundesweit tätigen Anbieter von Heimdialyse galt und eine regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten von 38,5 Stunden vorsah. Ausdrücklich sollten Zuschläge für Überstunden von 30 % nur für „Überstunden, die über die kalendermonatliche Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers hinaus geleistet werden“, gewährt werden.

Die in Teilzeit beschäftigten Klägerinnen haben Überstundenzuschläge für jede geleistete Überstunde, die über ihre vertragliche Arbeitszeit hinaus ging, und zugleich eine Entschädigung gemäß § 15 Abs. 2 AGG wegen unzulässiger Diskriminierung eingeklagt.

Das BAG hat die Rechtsfragen dem EuGH vorgelegt.

Entscheidung des EuGH
Der EuGH hat sowohl die unzulässige schlechtere Behandlung der Teilzeitbeschäftigten i.S.d. o.g. europarechtlichen Regelungen als auch eine mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts festgestellt. Diese Diskriminierung werde nicht dadurch gerechtfertigt, dass die Tarifparteien das Ziel verfolgen, den Arbeitgeber davon abzuhalten, für Arbeitnehmer Überstunden anzuordnen, die über die individuell in den Arbeitsverträgen vereinbarte Arbeitszeit hinausgehen. Andererseits könne die Differenzierung hinsichtlich der Zahlung von Überstundenzuschlägen nicht mit dem Ziel begründet werden, es solle verhindert werden, dass Vollzeitbeschäftigte gegenüber Teilzeitbeschäftigten schlechter behandelt werden.

Spannend sind die Erwägungen des EuGH, wonach eine mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts bereits dann vorliegt, wenn die Regelung unter den Teilzeitbeschäftigten signifikant mehr Frauen als Männer benachteiligt. Es sei dann für die Feststellung der Diskriminierung nicht mehr erforderlich, dass gleichzeitig unter den Vollzeitbeschäftigten erheblich mehr Männern als Frauen seien.

Das BAG hatte in der Vorlage ausgeführt, dass auch in der Gruppe der Vollzeitbeschäftigten der Anteil von Frauen erheblich höher war als der Anteil von Männern. Der EuGH stellt klar, dass es bei der Prüfung der mittelbaren Diskriminierung weniger auf quantitative Elemente ankommt, sondern dass ein qualitativer Ansatz verfolgt wird. Danach sei zu prüfen, ob die betreffende nationale Maßnahme ihrem Wesen nach geeignet sei, Personen des einen Geschlechts gegenüber Personen des anderen Geschlechts „in besonderer Weise zu benachteiligen“.

Es wird spannend sein, wie das BAG die Entscheidung des EuGH umsetzen wird. Dies gilt insbesondere für die Frage, ob das BAG den klagenden teilzeitbeschäftigten Frauen eine Entschädigung gemäß § 15 Abs. 2 AGG zusprechen wird.

 


Zum Autor: Rechtsanwalt Dr. Peter Meyer ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner der Kanzlei Weimann & Meyer, Berlin und Mitglied des Geschäftsführenden Ausschusses der Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht im Deutschen Anwaltverein.

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